Was ist Tinnitus? Wie weit ist er verbreitet?
Der Begriff Tinnitus steht für Ohrgeräusche, die ganz unterschiedlich wahrgenommen werden. Einen Tinnitus können in so gut wie allen Fällen nur die Patienten selbst wahrnehmen. Dieses Geräusch umfasst ein sehr großes Spektrum an persönlichen Schicksalen, Forschungen, subjektiven Eindrücken und Therapieansätzen. Das Wort Tinnitus stammt vom lateinischen „tinnire“, was in etwa „klingeln“ bedeutet. In Deutschland leidet etwa jede zehnte Person daran.* Das sind circa 8 Millionen Menschen in Deutschland. Genauso vielfältig wie die betroffenen Menschen, so facettenreich sind auch die Ursachen.
Was löst einen Tinnitus aus?
Die Ursachen für die nervenaufreibenden Ohrengeräusche sind sehr vielfältig. Wir haben Ihnen die Auslöser hier einmal aufgelistet. Manchmal wird Tinnitus durch mehrere Faktoren gleichzeitig ausgelöst. Andererseits kann Tinnitus auch schleichend und langsam auftreten und immer lauter werden. Was jedoch bei der Betrachtung von allen Ursachen auffällt: Tinnitus ist ein Symptom.
1.) Lärmbelastung
Das Gehör ist ein bisschen wie ein Muskel. Zu hohe Belastung schwächt ihn. Genauso verhält es sich mit dem Gehör. Zwei kleine Muskeln sind über Sehnen mit den Gehörknöchelchen im Mittelohr verbunden. Besonders wenn unsere Ohren Lärm ausgesetzt sind, spannen diese sich an und verringern die Schalleinwirkung um ein Vielfaches. Wird dieser Mechanismus zu stark beansprucht, ermüden die Muskeln und die Haarzellen sind ungeschützt starkem Lärm ausgesetzt. Viele Haarzellen überleben das auf Dauer nicht und gehen kaputt. Diese feinen Zellen sind nicht regenerierbar. Sie sind und bleiben zerstört.
2.) Stress
Etwa 14–16% aller Befragten gaben im Rahmen einer Studie aus Deutschland an, dass der Tinnitus meist von ihrem persönlichen Stresslevel abhängt.
Stress gilt als einer der Hauptauslöser kardiovaskulärer Erkrankungen. Bei anhaltendem Stresslevel kann daher die Sauerstoffzufuhr zu den Haarzellen im Ohr beeinträchtigt werden. Sie arbeiten nicht mehr einwandfrei oder werden irreparabel geschädigt. Die Folge ist wie bei einer hohen Lärmbelastung in vielen Fällen ein Tinnitus. Etwa 14–16% aller Befragten gaben im Rahmen einer Studie aus Deutschland an, dass der Tinnitus meist von ihrem persönlichen Stresslevel abhängt.**
3.) Schwerhörigkeit
Weshalb wird der Schaden an Haarzellen oft mit Tinnitus in Verbindung gebracht? Das hat damit zu tun, dass das Gehirn ein Meister darin ist, Defizite auszugleichen. Doch hier trickst es sich selbst aus. Gesunde Haarzellen senden permanent Signale über die Nervenbahnen an das Gehirn (um genau zu sein, tun sie das bis zu 600 Mal in der Sekunde). Wartet unser Gehirn vergeblich auf Signale, sendet es ein Feedbacksignal zurück zu den Haarzellen. Was dann geschieht, lässt sich am besten mit einer Rückkoppelung beschreiben. Stellen Sie sich vor, Sie halten ein Mikrofon an einen Lautsprecher. Was dann geschieht, haben Sie sicher bereits erraten: Es beginnt zu pfeifen.
Wartet unser Gehirn vergeblich auf Signale, sendet es ein Feedbacksignal zurück zu den Haarzellen und Ohrgeräusche entstehen. Oft kommt dieses Phänomen nur auf einem Ohr vor, in einigen Fällen auf beiden Ohren.
5.) Verspannungen des Kiefers oder des Nackens
Die enormen Spannungen, die beispielsweise beim nächtlichen Zähneknirschen entstehen, können sich auf den Hörnerv auswirken, denn der windet sich entlang des Kiefergelenks. Ein rechtzeitiger Gang zum Arzt, Ärztin oder Kieferorthopäden/-in könnte verhindern, dass sich die Ohrengeräusche sich zu einem chronischen Tinnitus entwickeln.
6.) Infektionen, Medikamente, traumatische Erlebnisse
Wie Sie sehen, könnten wir die Liste der häufigsten Ursachen für Ohrgeräusche noch um viele weitere ergänzen. Doch wir haben uns hier auf die wichtigsten konzentriert, denn sie bilden die Grundlage für die erfolgreichsten Behandlungsmethoden bei Tinnitus.
7.) Weitere häufige Ursachen für Tinnitus
Ein Aufruf zum Handeln — Tinnitus ist behandelbar!
Bei fast hundert Prozent aller Tinnitusfälle handelt es sich um einen subjektiven Tinnitus, also um Ohrgeräusche, die nur die Betroffenen selbst wahrnehmen. Auch wenn der objektive Tinnitus nur sehr selten anzutreffen ist, wollen wir ihn hier natürlich nicht verschweigen. Verändern sich beispielsweise die Blutgefäße nahe dem Ohr oder kommt es zu einer Fehlfunktion der Ohrtrompete, kann Ihr Arzt diese Geräusche mit empfindlichen Mikrofonen messen. In der Regel verschwindet der objektive Tinnitus auch wieder mit der Ursache. Aber wie gesagt: Er ist eher die Ausnahme. Daher konzentrieren wir uns in diesem Artikel vorwiegend auf den subjektiven Tinnitus.
Ich habe Ohrengeräusche — wann soll ich zum Arzt gehen?
Von einem chronischen Tinnitus spricht man, wenn die Ohrengeräusche länger als drei Monate anhalten. In vielen Fällen klingt ein Tinnitus auch nach wenigen Stunden oder Tagen wieder ab. Ein akuter Tinnitus ist zwar kein Notfall, doch da er häufig mit Stress in Korrelation steht, ist er ein deutliches Signal Ihres Körpers, einen Gang herunterzuschalten. Er zeigt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Je früher Sie zum Arzt / zur Ärztin gehen, desto mehr Spielraum haben Sie, die Ursache des Pfeiffens im Ohr zu finden und zu beseitigen – und desto höher sind die Chancen, dass der akute Tinnitus nicht zum chronischen wird. Doch wie behandelt man eigentlich einen Tinnitus? Nachfolgend stellen wir Ihnen die drei gängigsten Therapiemethoden vor. Sie bilden sozusagen das Triumvirat in der Tinnitusbehandlung und gehen häufig Hand in Hand.
Psychotherapeutische Behandlung des Tinnitus
„Ich habe einen Tinnitus, ich bin doch nicht verrückt!“ Mögen Sie jetzt sagen, und ja: Viele fühlen sich bei dem Gedanken an eine psychotherapeutische Behandlung eher unwohl. Jedoch hat sie sich als die effektivste Therapie von Tinnitus herausgestellt. Sie setzt dort an, wo der Tinnitus entsteht: im Kopf. Patienten lernen durch Verhaltenstherapie, ihren Alltag aktiv zu gestalten. Treten Aktivitäten in den Vordergrund, die Sie genießen und die Ihnen Freude bereiten, tritt der Tinnitus in den Hintergrund und ist nicht mehr das beherrschende Geräusch Ihres Alltags.
Das kann man ein bisschen mit einem tropfenden Wasserhahn vergleichen. Das Geräusch kann in den Wahnsinn treiben. Je mehr Sie darüber nachdenken, desto mehr stört es sie. Doch dann schalten Sie Ihre Musikanlage an, hören Ihre Lieblingssinfonie und lesen dazu ein interessantes Buch. Der Wasserhahn tropft immer noch, denn der Klempner hat erst morgen Zeit, doch Ihr Fokus liegt nun woanders und es geht Ihnen besser.
Genau hier setzt die psychotherapeutische Behandlung an. Tauschen Sie sich doch mit anderen Tinnituspatienten aus. Sie werden Ihnen bestätigen können, dass die eigene Haltung zum Tinnitus ein entscheidender Faktor dabei ist, wie sehr sich Ohrgeräusche auf Ihre Lebensqualität auswirken.
Therapie mit Klangtechnologie
1.) Hörgeräte
Forscher haben herausgefunden, dass Tinnitus oft mit Schwerhörigkeit einhergeht. Meistens klingt der Tinnitus genau in der Frequenz, die Sie nicht mehr gut wahrnehmen können. Zu dem Hörverlust kommt also zusätzlich dieses unangenehme Ohrengeräusch. Hörgerät können helfen die fehlenden Frequenzbereiche wieder wahrzunehmen. Oder es kann ein leises Grundgeräusch erzeugt werden, dass dem Gehirn hilft den Tinnitus zu überhören. Eine Beratung und meist kostenlose Tests bei einem Hörgeräteakustiker lohnen sich!
2.) Tinnitus-Masker / Tinnitus-Noiser
Reicht ein Hörgerät alleine nicht aus, um den Tinnitus zu mildern, schaffen Masker, auch Noiser genannt, Abhilfe. Sie sehen aus wie kleine Kopfhörer und erzeugen ein angenehmes Hintergrundrauschen, das die Aufmerksamkeit des Gehirns vom Tinnitus auf das Hintergrundgeräusch lenkt. Viele neuere Hörgerätemodelle haben sogar eine integrierte Noiser-Funktion. Sprechen Sie doch mal einen Hörakustiker darauf an, welche technischen Hilfen es auf dem Gebiet speziell für Ihren Fall gibt.
3.) Tinnitusmusik
Tinnitusmusik ist hilft nach einem ähnlichen Prinzip, wie der Masker oder Noiser. Es handelt sich um Musik, bei der die Tinnitusfrequenz herausgefiltert wurde. Das Ziel ist, genau die Bereiche im Gehirn zu aktivieren, die den Tinnitus überdecken. Diese Methode hat vielen geholfen, die Geräusche im Ohr zumindest zu lindern und einzudämmen.
Medikamentöse Therapie von Tinnitus
Wenn Sie jetzt an Kortison denken, liegen Sie genau richtig. Oft entsteht der Eindruck, es würde etwas vorschnell verschrieben. Weshalb ist es bei der Behandlung von Tinnitus (und auch bei einem Hörsturz) so beliebt? Kortison wird sowohl eine durchblutungsfördernde und entzündungshemmende als auch immunologische Wirkung zugeschrieben. Es wird von den Zellen rund um das Ohr besonders gut aufgenommen, da sie spezielle Rezeptoren zur Verarbeitung von Kortison besitzen. Wir können zwar hier nicht für eine spezielle Behandlungsform aussprechen oder andere anzweifeln. Bei Tinnitus gilt die Maxime: Sie entscheiden, was Ihnen guttut!
Wie weiß ich, welche Tinnitusbehandlung für mich die Beste ist?
Es gibt nicht den einen Tinnitus. Genauso wenig gibt es die eine richtige Behandlungsform. Er ist ein subjektives Phänomen. Es gibt daher genauso viele Arten von Tinnitus wie es Patienten gibt. Als grober Richtwert gilt jedoch, wie stark der Tinnitus Sie in Ihrer Lebensführung beeinträchtigt. Um das zu messen, werden zwei Kategorien ermittelt:
1.) Tinnitus-Loudness (Lautstärke des Tinnitus)
Die Intensität des Tinnitus lässt sich damit messen, wie laut er von Patienten empfunden wird. Jedoch ist dieser Wert nur begrenzt aussagekräftig, denn jeder empfindet Lautstärke und Art des Ohrengeräusches anders. Oft ist die Lautstärke ein wichtiger Indikator, ob eine Therapie greift oder nicht. Viele wichtiger ist allerdings die Tinnitus-Intrusiveness.
2.) Tinnitus-Intrusiveness (Aufdringlichkeit des Tinnitus)
Dieser Wert sagt etwas darüber aus, inwieweit Patienten den Tinnitus im täglichen Leben ausblenden können. Das kann man übrigens trainieren, beispielsweise mithilfe des psychotherapeutischen Behandlungsansatzes. Inwieweit Sie der Tinnitus nach der Therapie im Alltag noch belästigt, sagt also viel darüber aus, ob eine bestimmte Therapie bei Ihnen Erfolg hat.
Üblich ist auch der zeitgleiche Einsatz mehrerer Therapieformen. Vom „Tinnitus-Retraining“ spricht man beispielsweise, wenn die Psychotherapie von der Klangtherapie begleitet wird.
Probier’s mal mit Gemütlichkeit
Zusammenfassend lässt sich sagen: Tinnitus ist eine schwer zu knackende Nuss. Die Ursachensuche ist echte Detektivarbeit, und am Ende bleiben eine Menge Fragen offen. Doch Sie können viel selbst tun, um Tinnitus zu vermeiden oder zu lindern. Besondere Bedeutung kommt der Fähigkeit zu, auf den eigenen Körper zu hören. In vielen Fällen ist Tinnitus ein Indikator dafür dass Sie zu viel Stress haben, zu laut Musik hören oder einen Hörverlust haben. Stress zu reduzieren, zum Hörakustiker zu gehen oder einen anderen Experten zu konsultieren wird Ihre Lebensfreude erneuern. Fassen Sie Mut! Sie können etwas gegen Tinnitus tun.
Nützliche Informationen für Betroffene:
Die Deutsche Tinnitus-Liga ist eine gemeinnützige Selbsthilfeorganisation für Patienten/-innen mit Tinnitus, Hörsturz, Hyperakusis, Morbus Menière und sonstigen Hörbeeintächtigungen. Auf der Website der Deutschen Tinnitus-Liga finden Sie weitere hilfreiche Informationen zum Thema Tinnitus: Website der Deutschen Tinnitus-Liga.
Quellen:
*Statista. (24. Januar, 2019). Unter welchen der folgenden Beschwerden leiden Sie mindestens gelegentlich? [Chart]. In Statista. **TK. (30. Oktober, 2013). Häufigkeit ausgewählter Krankheitsbilder in Abhängigkeit des persönlichen Stresslevels in Deutschland im Jahr 2013 [Chart]. In Statista.