Was ist der Hörsinn? Die schönste Selbstverständlichkeit der Welt
Dem Täter auf der Spur
Samstagabend, der Krimi ist in vollem Gange und die Kommissare sind dem Täter auf den Fersen. Endlich haben sie eine heiße Spur. Das Bild einer Überwachungskamera. Total verpixelt. Doch der nerdige IT Experte weiß, was zu tun ist! Nach ein paar Befehlen über die Tastatur und Zaubertricks mit seiner Bildbearbeitungssoftware erscheint das Bild schließlich gestochen scharf. Er hat anhand einiger weniger Pixel und schwer zu verarbeitenden undeutlichen Informationen das Gesicht des Täters rekonstruiert. Die visuellen Eindrücke ergeben nun einen Sinn und geben wichtige Informationen.
Doch warum schreiben wir eigentlich darüber? Genau. Unsere auditive Wahrnehmung ist ein bisschen wie das Bildbearbeitungsprogramm des IT-Experten. Er hilft uns dabei, akustische Signale in verwertbare Informationen umzuwandeln. Dazu umfasst er mehr als nur das Sichtbare Ohr. Zu jedem erdenklichen Zeitpunkt prasseln unzählige Schallwellen auf uns ein. Eigentlich ist es nie vollständig still um uns herum. Dank unseres komplexen Gehörs verstehen wir nicht nur Sprache, Musik oder andere Lärmquellen. Wir wissen auch, aus welcher Richtung sie kommen und wie wir darauf reagieren müssen. Wie funktioniert das?
So funktioniert Hören
Am Hörvorgang sind mehrere Bereiche unseres Gehirns und Kopfes beteiligt, die Schall im winzigen Bruchteil einer Sekunde zu verwertbaren Informationen umwandeln. Springen Sie mit uns auf eine Schallwelle auf und gehen auf Entdeckungsreise ins spannende Innere unseres Ohres.
Zunächst trifft unsere Schallwelle, die, sagen wir eine Frequenz von 4 kHz hat und damit gut im hörbaren Bereich liegt, auf die Ohrmuschel. Diese ist so aufgebaut, dass sie Schall in den Gehörgang lenkt. Von dort wird die Schallwelle in das Mittelohr zum Trommelfell weitergeleitet. Unsere Schallwelle bringt es in Schwingung, wodurch die direkt hinter dem Trommelfell sitzenden Hammer, Amboss und Steigbügel aktiviert werden und die Schallwelle so verstärken, dass sie in der Hörschnecke (Cochlea) verarbeitet werden kann.
Schon gewusst? Hammer, Amboss und Steigbügel sind die kleinsten Knochen im menschlichen Körper.
Warum verstehen wir, was wir hören? Warum wir eigentlich mit den Ohren lesen
Eine haarige Angelegenheit – so verstehen wir, was wir hören
Vom Mittelohr geht es weiter in das Innenohr. Dort befindet sich die Cochlea (Hörschnecke). Sie ist das Zuhause der Haarzellen. Diese müssen Sie sich wie tausende kleiner stufenloser Kippsensoren vorstellen, die für bestimmte Frequenzbereiche zuständig sind. Die Basilarmembran, auf der sie befestigt sind, erkennt die Frequenz und aktiviert die entsprechenden Haarzellen. Sie wandeln dann den durch Schall ausgelösten mechanischen Reiz in einen elektrischen Impuls um. Damit ist der Weg zum Gehirn über die Nervenbahnen frei. Dort werden die Höreindrücke im auditiven Cortex blitzschnell verarbeitet und interpretiert. Erst zu diesem Zeitpunkt ist klar, ob es sich bei der Schallquelle um unseren Gesprächspartner, um Musik oder ein herannahendes Auto handelt.
Der Hippocampus, ein benachbartes Hirnareal, speichert dann die Eindrücke im Langzeitgedächtnis ab. Unsere auditive Wahrnehmung formt also auch unser Gehirn. Allein, dass Sie diesen Text lesen können, haben Sie Ihren Ohren zu verdanken. Woher wissen Sie, was die hier abgebildeten Zeichen und Wörter bedeuten? Genau! Sie haben sie durch Zuhören erlernt und Ihr Gehirn liest Ihnen diesen Text nun gedanklich vor. Am Ende dieser kurzen Reise in unser Gehör ist also klar: Der Hörsinn spielt die zentrale Rolle in der menschlichen Kommunikation und Interaktion. Nicht umsonst wird er auch als sozialer Sinn bezeichnet.
Wie funktioniert eigentlich selektives Hören? Der Cocktailparty-Effekt
Beim Stichwort „sozial“ müssen wir natürlich auch über den Cocktailparty-Effekt sprechen. Sie kennen das sicher: Sie unterhalten sich angeregt auf einer Party. Trotz der Vielzahl an sich überlagernden Geräuschen verstehen Sie Ihren Gesprächspartner einwandfrei. Das liegt daran, dass Ihr Gehirn alle störenden Geräuschquellen ausfiltert und sich nur auf Ihr Gegenüber konzentriert. Doch plötzlich fällt in einem Gespräch am anderen Ende des Raumes Ihr Name. Trotz all der Menschen im Raum, liegt Ihr Fokus auf einmal bei einem Gespräch, das Sie vorher nur unterbewusst wahrgenommen haben. Das Gehirn verarbeitet also unzählige Geräusche zeitgleich im Bruchteil weniger Millisekunden. Dieses Phänomen bezeichnen Neurologen und Psychologen als Cocktailparty-Effekt.
Übrigens erkennt das Gehirn auch, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt, oder in unserem Beispiel, wo im Raum unser Name gefallen ist. Hier kommt uns zugute, dass wir zwei Ohren besitzen. Vereinfacht gesagt, trifft der Schall je nach Richtung zeitversetzt auf unsere Ohren. Diese minimale Differenz wird jedoch vom Gehirn erkannt. Daraus erkennt es, wo die Schallquelle sitzt, die gerade unsere Aufmerksamkeit erregt hat. Bei welchen Geräuschen ist das möglich? Das bringt uns zur nächsten Frage: Was können wir überhaupt hören?
Was können wir hören? Die Grenzen des Hörsinns
Wie bereits angedeutet sind die auf der Basilarmembran sitzenden Haarzellen für bestimmte Frequenzbereiche zuständig. Je höher die Frequenz ist, also je höher der Ton, desto näher erfolgt die Verarbeitung am Eingang der Hörschnecke. Je tiefer die Frequenz, desto tiefer wird der Ton im Inneren der Ohrschnecke verarbeitet. Das gesamte Spektrum, das wir wahrnehmen können liegt zwischen 16 und 20.000 Hz. Wie auf der nebenstehenden Grafik zu sehen ist, liegt die gesprochene Sprache zwischen 125 Hz und 8.000 Hz. Blätterrascheln befindet sich am unteren Ende der Skala. Und Fluglärm oder ein Presslufthammer sind an der Schmerzgrenze von 120 dB zu finden.
Gehörtraining bei Gehörverlust – bringen Sie Ihr Gehör in Form
Hören ist also viel mehr, als nur die Verarbeitung von Schallwellen. Am Hören sind viele Bereiche des Gehirns und unseres Hörorgans beteiligt. Bei einem Hörverlust geraten Teile dieses Mechanismus aus der Form. Sie verkümmern wie ein Muskel, der nicht benutzt wird. Erhalten Betroffene ein Hörgerät, sind die vielen Höreindrücke dann natürlich erst einmal erschlagend. Damit ein Hörgerät auf lange Sicht helfen kann, muss das Gehör dementsprechend trainiert werden. Mehr dazu erfahren Sie in unserem Artikel über das Gehörtraining.
Sprachbananen – was Obst mit unserem Hörvermögen zu tun hat
Oben genannte Diagramme nennt man übrigens Sprachbananen. Der Frequenzbereich, der für das Verstehen von Sprache wichtig ist, sieht in etwa aus wie eine Banane. Sprachbananen helfen Hörakustikern nach einem Hörtest einzuordnen, wie gut unser Hörvermögen ist. Daran wird auch deutlich, dass man Töne und Geräusche nicht einfach nur leiser hört, wenn der Hörsinn beeinträchtigt wird. Man kann dann bestimmte Frequenzbereiche nicht mehr wahrnehmen. Das liegt daran, dass die dafür zuständigen Haarzellen im Innenohr beschädigt sind.
Der Hörsinn ist also ein Wunder, das man zu oft für selbstverständlich hält. Doch dieser kurze Überblick über unseren Hörsinn zeigt: Er ist es Wert, dass wir ihn schützen und mehr darüber erfahren.