Geräuschempfindlichkeit: Wenn Geräusche weh tun

Hyperakusis, Misophonie, Phonophobie - all das sind verschiedene Gesichter der Geräuschempfindlichkeit. Dabei lösen normale Geräusche Ohrenschmerzen und andere körperliche Reaktionen aus. Betroffene haben oft einen langen Leidensweg hinter sich, bevor ein Arzt die Diagnose stellt. Doch wie erkennen Sie eine Geräuschempfindlichkeit und welche Therapien gibt es?

Frau sucht ruhe wegen Geräuschempfindlichkeit

Das Piepen der Straßenbahn, wenn die Türen schließen. Die Autos, die über die nasse Fahrbahn brettern. Das Kreischen der Nachbarskinder, die gerade Fangen spielen. All das hört sie und kann es kaum ertragen. Obwohl in ihrer Wohnung alle Fenster und Türen geschlossen sind, ist alles viel zu laut. Kaum vorstellbar, sich diesen Geräuschen direkt auszusetzen. Das hat sie aber auch schon lange nicht mehr gemacht. Nachdem sie den Job als Erzieherin an den Nagel gehängt hat, arbeitet sie nur noch von Zuhause aus. Einkaufen geht nur noch mit Gehörschutz. Freunde trifft sie selten und auch nur die, die ihre Krankheit akzeptieren, bei denen sie sich nicht verstellen muss. „Stell dich nicht so an“, „Das ist doch gar nicht so laut“ – so reagieren viele, wenn sie selbst bei ganz normalen Geräuschen das Gesicht vor Schmerz verzieht. Hyperakusis hat ihr Arzt diagnostiziert, eine stark ausgeprägte Geräuschempfindlichkeit. Seitdem ihre Krankheit einen Namen hat, geht es ihr besser. Und seitdem sie weiß, dass sie nicht die Einzige ist.

Was ist eine Geräuschempfindlichkeit?

Bei einer Geräuschempfindlichkeit reagieren Betroffene sehr stark auf Geräusche in der Umgebung. Besonders betroffen sind Patienten mit einem Tinnitus. Verschiedene Studien[1] gehen davon aus, dass 30-50 % der Tinnitus-Patienten auch an einer Form der Geräuschempfindlichkeit leiden. Geräusche, die objektiv nicht zu laut sind, lösen dabei Schmerzen in den Ohren, Schweißausbrüche und Herzrasen aus. Dabei lassen sich verschiedene Arten der Geräuschempfindlichkeit unterscheiden, die aber auch ineinander übergehen können. Dadurch fällt die Abgrenzung manchmal schwer.

Hyperakusis: Wenn alles zu laut ist

Bei einer Hyperakusis handelt es sich um eine Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen normaler Lautstärke. Es geht nicht um ein bestimmtes Geräusch, es ist einfach alles zu laut. Betroffene haben Angst, ihr Gehör könnte Schaden nehmen, obwohl die Umgebungsgeräusche noch in einem tolerierbaren Rahmen liegen. Sie versuchen vor Geräuschen zu fliehen, sich so gut wie möglich abzuschotten. Patienten mit einer Hyperakusis schränken ihre sozialen Kontakte immer mehr ein, um den vermeintlich schädlichen Geräuschen zu entgehen. Das Fatale daran: So entsteht ein Teufelskreis, denn das Gehör reagiert nach dem „Geräuschentzug“ noch sensibler.

Mann stützt Kopf in die Hände und schließt die Augen.
Patienten mit einer Hyperakusis versuchen möglichst vielen Geräuschen aus dem Weg zu gehen und ziehen sich zurück. © stock.adobe.com / #305629868 / Maridav

Misophonie: Das eine schreckliche Geräusch

Es gibt Geräusche, bei denen jeder zusammenzuckt: Der Fingernagel auf der Tafel, das Quietschen von Styropor. Bei einer Misophonie erzeugt ein bestimmtes Geräusch starke Emotionen und körperliche Reaktionen. Nicht die Lautstärke ist entscheidend, sondern die Qualität des Geräuschs. Dieses eine schreckliche Geräusch tritt komplett in den Vordergrund und übertönt alles andere. Bei der Misophonie kommt es sehr stark darauf an, wie eine Person ein Geräusch emotional bewertet. Negative Erfahrungen oder ein Kindheitstrauma sind oft die Auslöser.

Phonophobie: Wenn Geräusche Angst machen

Auch bei der Phonophobie spielt die emotionale Bewertung eine große Rolle. Patienten mit einer Phonophobie empfinden bestimmte Geräusche als schmerzhaft und beängstigend. Es handelt sich um eine erlernte Angstreaktion, bei der ein Geräusch mit negativen Erfahrungen verbunden wird. So mag eine ehemalige Kindergärtnerin Dabei ist die Frequenz nicht entscheidend, denn sie empfinden andere Geräusche mit der gleichen Frequenz nicht als unangenehm. Eine Phonophobie kann schleichend in eine Hyperakusis übergehen.

Wie entsteht eine Geräuschempfindlichkeit?

Die Ursachen für eine Geräuschempfindlichkeit sind vielfältig und noch nicht weit erforscht. Sie tritt häufig zusammen mit einem Tinnitus auf, kann aber auch das Begleitsymptom einer Depression sein. Folgende weitere Ursachen sind möglich (Liste nicht vollständig):

  • Ostosklerose
  • Störung im Innenohr
  • Störung eines Hirnnervs
  • Störung der zentralen Hörbahnen
  • Nebenwirkungen von Medikamenten
  • Migräne
  • bestimmte Formen von Epilepsie
  • Störung des Stapediusreflex

Wie wird eine Geräuschempfindlichkeit diagnostiziert?

Betroffene haben oft einen langen Leidensweg hinter sich, bevor sie die endgültige Diagnose bekommen. Haben Sie den Verdacht, an einer Geräuschempfindlichkeit zu leiden, suchen Sie unbedingt einen Arzt auf. Er wird zunächst eine ausführliche Anamnese erstellen und verschiedene audiologische Untersuchungen durchführen. Diese Untersuchung bestimmt Ihre Unbehaglichkeitsschwelle, also ab wann Sie eine bestimmte Frequenz als unangenehm empfinden. Ihr Arzt wird sehr behutsam vorgehen, da die Unbehaglichkeitsschwelle bei Personen mit einer Geräuschempfindlichkeit niedriger liegt als im Durchschnitt. Fühlen Sie sich zu irgendeinem Zeitpunkt unwohl, zögern Sie nicht, das Ihrem Arzt mitzuteilen.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Frau sitzt auf einer Terrasse neben einem Hund, hört über Kopfhörer Musik und tanzt
Durch angenehme Musik gewöhnen sich Patienten langsam wieder an Geräusche. © stock.adobe.com / #305629868 / Maridav

Das Gebiet der Geräuschempfindlichkeit ist noch nicht sehr weit erforscht. Mittlerweile gibt es aber Therapien, die den Umgang mit der Krankheit deutlich verbessern. Die Art der Therapie hängt von der Grunderkrankung ab. Ihr Arzt wird Sie genau über die Ursachen und die Zusammenhänge Ihrer Geräuschempfindlichkeit aufklären. Er wird Ihnen zeigen, dass mit Ihrem Gehör organisch alles in Ordnung ist und normale Umgebungsgeräusche ihr Gehör nicht schädigen.

Versuchen Sie, den Teufelskreis von Schonungs- und Vermeidungsverhalten zu durchbrechen. Dabei ist es hilfreich, sich langsam an Geräusche zu gewöhnen, zum Beispiel durch Musik, die Sie mögen. Gehen Sie dabei aber nie über Ihre Schmerzgrenze. An der Tinnitus-Klinik Bad Arolsen haben Hörtherapeuten Übungen entwickelt , die Sie Zuhause umsetzen können. Auch bestimmte Entspannungstechniken sind hilfreich, um mit „lauten“ Situationen besser umzugehen.

Je nach Grunderkrankung ist auch die Zusammenarbeit mit einem Psychotherapeuten sinnvoll. Es gibt auch immer mehr Selbsthilfegruppen, in denen Sie Unterstützung finden.
Wer an einer Geräuschempfindlichkeit leidet, wünscht sich Stille. Für den Heilungsprozess ist es jedoch entscheidend, sich langsam an Geräusche zu gewöhnen. Das braucht Zeit. Aber es lohnt sich: Das Zwitschern der Vögel, das Lachen von Kindern, das Lieblingslied – Geräusche können auch wunderschön sein.

[1] Hesse, G; Rienhoff, N:K., Laubert A. Ergebnisse stationärer Therapie bei Patienten mit chronisch komplexen Tinnitus Laryngo-Rhino-Otology 2001; 80: 503–508