Das Ohr und seine Anatomie

Auf die Frage, welcher unserer fünf Sinne am wichtigsten erscheint, wird selten der Hörsinn als Erstes genannt. Eine Studie zeigt: Im europäischen und nordamerikanischen Raum werden das Sehen und Tasten als wichtigste Sinnesfähigkeiten angeführt.

Junges Mädchen flüstert der Großmutter ins Ohr

Wird unser Hörsinn völlig unterschätzt?

In vielen asiatischen und afrikanischen Kulturen gilt das Schmecken als wichtigste Wahrnehmung. In keiner der untersuchten 20 Kulturen wird das Hören als unsere wichtigste Sinneswahrnehmung angeführt. (Quelle: Ein Artikel auf pnas.org)

Tatsächlich erscheint vielen Menschen das Hören und unser Ohr als Körperorgan so natürlich, dass wir uns selten Gedanken über den Aufbau und die Funktion unserer Ohren machen. Das ändert sich erst, wenn wir oder eine Person in unserem Umfeld ernsthafte Probleme mit unserem Hörorgan bekommen. Dabei ist dies nicht ungewöhnlich. Untersuchungen belegen, dass umgerechnet jeder sechste Bewohner in Deutschland unter einer Einschränkung im Hörvermögen leidet. (Quelle: Ein Artikel auf hoerkomm.de)

Das Ohr gehört definitiv zu unseren faszinierendsten Organen, und die Fähigkeit zu Hören gleicht einem Wunder.

Was macht unser Ohr so einzigartig?

Schon Kleinkinder wissen: Das Ohr benötigen wir zum Hören. Doch das Ohr hat auch noch eine weitere entscheidende Funktion. Es dient unserer Orientierung, unserem Gleichgewichtssinn, unserer räumlichen Wahrnehmung und der Ortung. Dies umfasst weit mehr als z.B. die Fähigkeit zu balancieren.

Selbst wenn wir ein Buch oder diesen Magazinbeitrag auf phonomigo.com lesen, orientiert sich unser Auge immer im richtigen Timing bei jeder neuen Zeile von links nach rechts.

Unser Gleichgewichtssinn im Ohr ermöglicht uns, einen Gegenstand auch bei hohen Geschwindigkeiten visuell anzuvisieren, uns an hohe Geschwindigkeiten zu gewöhnen (z.B. im Zug) oder uns sofort nach abruptem Stop (nach Bremsen mit dem Auto oder Fahrrad) neu zu orientieren.

Und natürlich ragt das Hörvermögen von uns Menschen besonders heraus. Der Mensch kann 400.000 verschiedene Töne unterscheiden. Das entspricht der Menge an Tönen, die 4500 Klaviere erzeugen. Würde man diese Klaviere nebeneinander stellen, ergäbe sich eine Länge von neun Kilometern.

Das menschliche Gehör kann Frequenzen von 16-20.000 Herz wahrnehmen. Blätterrascheln oder das Summen des Kühlschranks befinden sich im niedrigen Frequenzbereich ab 16 Hz. Im Höheren Frequenzbereich sind Kinderstimmen oder Pfeifen anzusiedeln. Frequenzen, die über dem für uns hörbaren Frequenzbereich liegen, nennt man Ultraschall. Solche, die darunter liegen, werden Infraschall genannt. Da der Mensch bis zu 50 Töne in der Sekunde wahrnimmt, die das Ohr mit einer Geschwindigkeit eines 1-Mach-Düsenjägers (1.240km/h) erreichen, können wir wahrlich davon sprechen, dass es sich bei unserem Ohr um ein ganz besonders Organ handelt. Es lohnt sich, das einmal genauer zu betrachten.

Unser Ohr: Anatomie und Aufbau

Grundsätzlicher Aufbau des Ohrs

Die Ohr-Anatomie des Menschen lässt sich zunächst in drei Abschnitte aufteilen: das Außenohr, das Mittelohr und das Innenohr. Das menschliche Ohr ist dabei so individuell, seine Form von Mensch zu Mensch so unterschiedlich, dass die Industrie bereits Techniken entwickelt hat, um Menschen anhand von Ohrenabdrücken zu identifizieren oder das Smartphone per Ohr-ID zu öffnen (Stand August 2019: noch nicht marktreif). Nehmen wir diese drei Abschnitte nun genauer unter die Lupe.

Das Außenohr

Bei dem Außenohr handelt sich um den Teil des Ohrs, an das wir zuerst denken, wenn wir vom Ohr sprechen. Das Außenohr ist der sichtbare äußere Teil am Kopf. Es beinhaltet das Ohrläppchen, die Ohrmuschel und den äußeren Gehörgang. Auch wenn das Außenohr durch Schmuckanhänger meist bloß dekorativ eine Rolle zu spielen scheint, so ist das Außenohr für die Ortung eines Geräuschs von wesentlicher Bedeutung.

Aufbau des Außenohrs
Das Außenohr besteht hauptsächlich aus der Ohrmuschel und dem äußeren Gehörgang. © stock.adobe.com / #211770986 / Axel Kock

Die Ohrmuschel arbeitet wie ein Trichter und dient dem Einfangen von Geräuschen, die dann direkt in den äußeren Gehörgang weitergeleitet werden.

Ohrakupunktur

Modell der Akupunktur Punkte am Außenohr
Der Akupunktur am Außenohr wird ein heilsamer Effekt zugeschrieben. © stock.adobe.com / #144478380 / Africa Studio

Neben der wichtigen Funktion für unser Gehör hat das Außenohr noch einen weiteren Vorteil. Dort verlaufen die Enden vieler Nervenstränge. In der Akupunktur macht man sich dies zunutze. Nach der traditionellen chinesischen Medizin kann man an verschiedenen Bereichen des Körpers den gesamten menschlichen Körper abbilden: an den Händen, an den Fußreflexzonen und auch am Außenohr. Je nach Beschwerden werden die Akupunkturnadeln dann an einer bestimmten Stelle am Ohr platziert. Man geht davon aus, dass diese Behandlung folgende Effekte hat: 

  • Schmerzlinderung
  • Regulierung des Muskeltonus
  • Immunmodulierende Wirkung
  • Psycho-neuro-endokrine Wirkung
  • Abschwellende Wirkung
  • Durchblutungsfördernd
  • Vegetativ regulierend
  • Psychisch ausgleichend

Das Mittelohr

Der bekannteste Bestandteil des Mittelohrs ist sicher das Trommelfell. Es dient als Tor zum Mittelohr und verhindert, dass Fremdkörper tiefer ins Ohr gelangen können. Beim Trommelfell handelt es sich um eine sehr dünne (1/10mm starke) Membranschicht, die selten größer als ein Zentimeter ist.

Besonders spannend ist dabei, dass das Trommelfell die erste Instanz ist, die eine aktive Reaktion beim Eintreffen von Geräuschen in Form von Schallwellen zeigt: Trifft ein Geräusch auf das Trommelfell, wird das Trommelfell in Schwingung versetzt. Je lauter das Geräusch, desto heftiger die Schwingung.

Aufbau des Mittelohrs mit Hammer, Amboss, Steigbügel, Trommelfell sowie der Eustachi Röhre
Das Mittelohr besteht aus Hammer, Amboss, Steigbügel, Trommelfell sowie der Eustachi Röhre. Bereits hier beginnt die Verarbeitung von Schall. © stock.adobe.com / #211770902 / Axel Kock

Direkt hinter dem Trommelfell sitzen der Hammer und der Amboss. Beide Gehörknöchelchen sind so benannt, da sie in der Form und Funktion einem mittelalterlichem Hammer und Amboss ähneln. Denn wird das Trommelfell durch ein akustisches Signal in Bewegung versetzt, wird dieser Impuls direkt an den anliegenden Hammer weitergegeben, der dann auf den Amboss schlägt. Die Vibration am Amboss wird wiederum zum Steigbügel weitergegeben, der das dritte der dreiköpfigen Familie der Gehörknöchelchen darstellt. Diese drei wichtigen Gehörknöchelchen wiederum verstärken die Schwingungen so weit, dass Sie im Innenohr weiterverarbeitet werden können.

Bei der Ohrtrompete (Eustachi-Röhre) handelt es sich um einen Verbindungsweg zwischen Nasenrachenraum und dem Mittelohr. Sie dient dem Druckausgleich und somit als Schutz gegen eine Überspannung des Trommelfells. Diese geniale Konstruktion kann mitunter auch den Nachteil haben, dass sich Entzündungen im Rachenraum zu einer Mittelohrentzündung entwickeln. Besonders bei Kleinkindern ist das ein häufiger Grund für den Besuch eines Kinderarztes.

Den Übergang vom Mittelohr zum Innenohr bildet das Ovale Fenster, an dem der Steigbügel befestigt ist. Von dort werden die akustischen Signale bioelektrisch in eine Sprache verwandelt, die das Gehirn verarbeiten kann.

Das Innenohr

Beim Innenohr handelt es sich um den faszinierendsten Teil unseres Ohrs. Hier treffen physikalische, elektrische und biochemische Prozesse zusammen, damit wir „hören“ können.

Entscheidend dafür ist die Hörschnecke, die Zehntausende von speziellen Haarzellen beinhaltet. Haarsinneszellen werden so bezeichnet, weil sie, vereinfacht gesagt, besonders feinfühlige Sinneszellen sind, an denen viele Härchen als Haarbündel zusammengefasst sind. Diese sind in der Lage, Schallwellen als eine Art Reizung zu registrieren und diese Information an der Nervenbahn entlang an das Hörzentrum im Gehirn weiterzugeben.

Aufbau des Innenohres mit Hörschnecke, Ovalem Fenster, Rundem Fenster, Bogengängen, Gleichgewichtsnerv und Hörnerv
Im Innenohr werden durch die Haarsinneszellen in der Hörschnecke Schallwellen in Nervenimpulse umgewandelt. © stock.adobe.com / #211770833 / Axel Kock

Vertiefende Informationen dazu finden Sie in unserem Artikel „Wie funktioniert das Hören?“.

Im oberen Teil der Hörschnecke befinden sich die drei runden Bogengänge, die mit Lymphflüssigkeit gefüllt sind und unseren Gleichgewichtssinn entscheidend bestimmen. Schauen wir nach rechts, dreht sich das Innenohr mit und setzt sich in Bewegung. Diese Informationen der Haarzellen werden direkt durch unser Nervensystem an das Gehirn weitergegeben.

Welche Beschwerden kann es am Ohr geben?

Das sicher bekannteste Leiden ist der Hörverlust. Dabei reicht die Spanne von teilweisem Verlust des Hörvermögens, bis zur absoluten Gehörlosigkeit. Gründe dafür können Funktionsstörungen am Mittelohr, der Hörschnecke oder den Hörnerven, bzw. der Hörbahn zum Gehirn sein.

Jeder sechste in Deutschland leidet an einer Form von Hörverlust. Dabei sind nicht nur ältere Menschen betroffen. Doch außer einem Hörverluste gibt es auch Beschwerden, die die Lebensqualität stark beeinträchtigen können:

Weitere Leiden können sein:

Welche Hilfen gibt es bei Beschwerden am Ohr?

Dank vieler hervorragender wissenschaftlicher Arbeiten, Studien und technischer Hilfsmittel sehen wir uns heute imstande, viele Leiden so weit zu lindern, dass für die meisten Betroffenen eine Erleichterung geschaffen wird.

Dennoch ist die Wissenschaft noch relativ am Anfang. Während die moderne Chirurgie schon  bereits Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Durchbruch feierte, hat man die wesentliche Funktionsweise der Hörschnecke erst in den 50er-Jahren verstanden, wofür der ungarisch-US-amerikanische Telekommunikationstechniker und spätere Wissenschaftler Georg von Békésy 1961 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurde.

Dies zeigt zwar, wie stiefmütterlich unser Hörvermögen und das Ohr als Organ schon immer wahrgenommen wurden, aber es zeigt sich gerade in den letzten Jahren, dass hier ein Wandel in unserer Gesellschaft und der Wissenschaft stattfindet.

Wir vom Magazin phonomigo.com möchten unseren Beitrag dazu leisten, Sie rund um das Thema Hören zu informieren.